Tabuthema Genitalverstümmelung

 

Was ist FGM?

Die weibliche Genitalverstümmelung (engl.: female genital mutilation, FGM) umfasst alle Verfahren, bei denen die äußeren Genitalien teilweise oder komplett entfernt werden, und zwar ohne medizinischen Grund. Die Mädchen erleiden während und nach der Beschneidung Schmerzen, Erniedrigung und teilweise lebenslange Komplikationen. Den Mädchen wird ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Entscheidungsgewalt über ihren eigenen Körper verwehrt. Die meisten Mädchen werden zwischen 6 und 13 Jahren beschnitten, aber auch Säuglinge und erwachsene Frauen sind von FGM betroffen. Die Begründungen für FGM variieren.

 

Verbreitung

FGM wird vor allem in Afrika praktiziert. In asiatischen Ländern und im Nahen Osten ist weibliche Genitalverstümmelung ebenfalls weit verbreitet. Ca. 700.000 betroffene Frauen leben aber auch in Europa, allein in

Deutschland ca. 50.000. Obwohl es noch keine genauen Zahlen gibt, ist anzunehmen, dass durch Globalisierung und Zuwanderung FGM auch vermehrt in Europa, den USA, Kanada und Australien vorkommt.

 

 

Typen Weiblicher Genitalverstümmelung

  • Typ I Sunna-Beschneidung / Klitorisdektomie:
    Teilweise oder vollständige Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris und/oder der Klitorisvorhaut.

  • Typ II Exzision:
    Hierbei wird die Klitoris teilweise oder komplett entfernt. Außerdem werden die inneren Schamlippen und in einigen Fällen auch die äußeren abgeschnitten.

  • Typ III Pharaonische Beschneidung / Infibulation:
    Hierbei wird die Vagina zugenäht, sodass nur eine kleine Öffnung für Urin und Menstruation bleibt. Dazu werden häufig Teile der äußeren Geschlechtsorgane abgetrennt und als Hautverschluss genutzt. Bei dieser Form der Beschneidung wird häufig auch die Klitoris entfernt. (Für den späteren Geschlechtsverkehr werden infibulierte Frauen wieder aufgeschnitten. Oft penetriert der Ehemann die Frau beim Geschlechtsakt gewaltsam, um die Naht wieder zu öffnen. Zur Entbindung eines Kindes ist eine zusätzliche Erweiterung der Vaginalöffnung notwendig, die in vielen Fällen nach der Geburt reinfibuliert wird. Das bedeutet, die Narbenränder werden entfernt und das verbliebene Gewebe erneut zusammengenäht.)

  • Typ IV:
    Dazu gehören alle anderen schädigenden Eingriffe, die die weiblichen Genitalien verletzen und keinem medizinischen Zweck dienen, zum Beispiel: Einstechen, Durchbohren, Einschneiden, Ausschaben, Ausbrennen, Verätzen, Dehnen.

 

 

Herkunft

Der Ursprung der weiblichen Genitalverstümmelung ist historisch nicht konkret feststellbar, da es die Praxis bereits gegeben haben soll, noch bevor es schriftliche Aufzeichnungen dazu gab, sodass eine genaue Bestimmung von Zeit und Ort des Aufkommens nicht möglich ist.

Herodot (antiker griechischer Geschichtsschreiber, Völkerkundler) berichtet im 5. Jahrhundert v. Chr. von einem solchen Brauch bei den Äthiopiern, Ägyptern, Phöniziern und Hetitern. Ein griechischer Papyrus (163 v. Chr.) erzählt von der Beschneidung heiratsfähiger Mädchen. Aus dem Römischen Reich wissen wir von zugenähten Sklavinnen, mit denen auf dem Markt ein höherer Wert erzielt werden konnte, da ihre Arbeitskraft nicht durch eine Schwangerschaft gefährdet war.

Als wahrheitsgemäße Theorie gilt jedoch, dass bereits in Alt-Ägypten sowohl Männer als auch Frauen beschnitten wurden, da man damals an die Doppelgeschlechtlichkeit glaubte. Demnach war man davon überzeugt, dass das Individuum sowohl mit einer männlichen als auch mit einer weiblichen Seele geboren wird. Beim Mann liege der weibliche Anteil in der Vorhaut, bei der Frau fände sich der männliche Anteil in der Klitoris. Um sich in die geschlechtsspezifische und soziale Rolle einfinden zu können, mussten die nicht dazugehörenden Geschlechtsteile entfernt werden, das heißt beim Mann die Vorhaut und bei der Frau die Klitoris.

Auch in Europa und Nordamerika wurde die weibliche Genitalverstümmelung seit dem Mittelalter praktiziert, wobei in der Regel die Klitoris und die inneren Schamlippen beschnitten wurden. Dies galt zur Behandlung von unter anderem Masturbation, Nervosität, Hysterie, Hypersexualität, Epilepsie und Melancholie.

 

Gründe

Heute gibt es zahlreiche Gründe, mit denen weibliche Genitalverstümmelung gerechtfertigt wird. FGM ist ein traditionelles Initiationsritual, dass den Übergang eines Mädchens zur erwachsenen Frau symbolisieren soll. Die Ursprünge des Rituals sind unklar, aber NICHT religiös. Ökonomische Abhängigkeit und mangelnde Aufklärung, vor allem in ländlichen Regionen, führen jedoch dazu, dass diese Tradition bis heute Bestand hat.

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Theorien

  1. Dass eine Frau ihre Klitoris entfernt bekommen muss, weil sie ein Zeichen für Männlichkeit ist. Erst dann ist sie eine vollkommene Frau.

  2. Frauen und junge Mädchen sind für viele Familien eine Wertanlage. Bei der Heirat werden sie gegen einen Brautpreis eingetauscht. Eine junge Frau ohne Bildung und Berufsaussichten muss heiraten, um eine Lebensgrundlage zu haben. Nur sexuell unerfahrene Frauen gelten als rein und heiratsfähig. Die Genitalverstümmelung soll verhindern, dass Frauen sexuelle Erfahrungen machen und diese genießen. Oft existiert der Aberglaube, dass unbeschnittene Frauen unfruchtbar sind oder die Klitoris schädlich für ein neugeborenes Kind ist.

  3. Frauen, die sich gegen die Beschneidung wehren, erfahren von der Gesellschaft Verachtung und Ablehnung. Unbeschnittene Frauen und selbst deren Kinder riskieren ausgestoßen und beschimpft zu werden.

  4. Viele Frauen und Mütter leiden unter FGM und wollen nicht, dass ihre Töchter darunter leiden. Trotzdem dulden sie, dass die Beschneidung an ihren Töchtern durchgeführt wird. Sie stehen unter den Männern und haben nicht das Recht gegen die Beschneidung zu protestieren. Es gilt als normal und selbstverständlich. Das größte Problem dabei ist, dass man darüber nicht redet.

 

Folgen und Auswirkungen

FGM ist schmerzvoll und traumatisierend, da sie in den meisten Fällen ohne Betäubung durchgeführt wird, sodass die Betroffenen während der Durchführung alle Schmerzen spüren. Alle Formen von FGM sind nicht rückgängig zu machen. FGM hat für die beschnittenen Mädchen sowohl körperliche als auch seelische Folgen – und zwar ein Leben lang. Laut WHO sterben 10% der Frauen an den akuten Konsequenzen (Blutvergiftung, Blutverlust) von FGM, 25% erliegen den langfristigen Folgen (Infektionen durch HIV/Aids/Hepatitis, Geburtskomplikationen).

 

Körperliche Folgen

  • Narbenwülste und Verengung der Scheide
  • Schmerzen beim Wasserlassen und der Menstruation
  • Blasenentzündung oder -lähmung
  • Inkontinenz
  • Gefahren bei der Geburt
  • Unfruchtbarkeit
  • Verlust von Sexueller Empfindlichkeit
  • Schmerzen beim Geschlechtsverkehr
  • Schwere Entzündungen
  • Chronische Entzündungen im Genitalbereich
  • Chronische Schmerzen
  • Blutvergiftung
  • Tetanus

Psychische Folgen

  • Vertrauensverlust
  • Verlust des Selbstwertgefühles
  • Verlust der Weiblichkeit
  • Traumatische Störung/Traumata
  • Depression
  • Soziale Isolation

 

Wie ist die Rechtslage?

Zahlreiche Abkommen der Vereinten Nationen (UN), der Europäischen Union (EU) sowie Deutschlands stufen die weibliche Genitalverstümmelung als schwere Menschenrechtsverletzung ein. FGM verletzt das Recht von Mädchen und Frauen auf körperliche Unversehrtheit, auf sexuelle Selbstbestimmung, auf Schutz vor Gewalt und Diskriminierung. Damit verstößt sie gegen verschiedene internationale Abkommen, die von den meisten Staaten unterschrieben wurden. Im Zusatzprotokoll für Rechte von Frauen im Rahmen der „Afrikanischen Charta der Rechte der Menschen und Völker“ haben sich 49 von 55 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union zur Abschaffung weiblicher Genitalverstümmelung bekannt. Obwohl es solche Gesetze gibt, sind diese aber meist lückenhaft und werden nicht angewandt. Es gibt nämlich kaum Anzeigen und Strafverfahren in Europa. Außerdem ist drohende Genitalverstümmelung explizit in keinem europäischen Staat als Asylgrund anerkannt. Der Umgang mit Opfern von Seiten des Gesundheitswesens und der Behörde ist meist unzureichend. Es herrscht eine große Unwissenheit bei diesem Thema. Auch in kaum einem europäischen Staat ist FGM fester Bestandteil in der Ausbildung von Ärzt*innen, Hebammen und Sozialarbeiter*innen.

 

Was Organisationen dagegen tun

In den letzten Jahren haben Organisationen Projekte, teilweise auch mit Unterstützung der EU, gegen weibliche Genitalverstümmelung finanziert. Alle Projekte gegen weibliche Genitalverstümmelung werden in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern durchgeführt, welche die regionalen Besonderheiten kennen und ihre Methoden daran anpassen. Um nachhaltige Erfolge zu sichern, integrieren sie das Thema weibliche Genitalverstümmelung in umfassende Programme zu Gesundheit, Bildung, Familienplanung und Stärkung der Frauen. Die Projekte führen sie in Partnerschaft mit den Gemeinden durch. Sie setzen in ihrer Arbeit auf Aufklärung, Diskussionen und Weiterbildungen der Gemeinden über Menschen-, Frauen- und Kinderrechte. Zusammen mit lokalen Organisationen, Jugendclubs und Journalist*innen informieren die Menschen in den Gemeinden über die schweren Folgen der weiblichen Genitalverstümmelung.

 

Hilfe für FGM Opfer

Heute gibt es in Deutschland mehrere Orte, an die sich Mädchen und Frauen nach einer Genitalverstümmelung wenden können, um medizinische Hilfe und psychosoziale Betreuung für mehr Lebensqualität zu bekommen. Z.B. NALA oder das Desert Flower Center Waldfriede.

 

 

Fazit

Es ist unglaublich schwierig, das ganze Ausmaß der Genitalverstümmelung zu begreifen, da es grausam und schockierend ist. Ich hoffe sehr, dass wir in Zukunft das Schicksal dieser Mädchen verändern können und sie von dieser leidvollen Tradition befreien können. Allerdings braucht dies noch viel Zeit und bis wir so weit sind, ist es ein langer Weg.

 

Jascha Siegmann